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Sonntag, 17. Oktober 2010

Der Lauf der Zeit

In der Natur sehen wir jedes Jahr den Lauf der Zeit als Wechsel der Jahreszeiten. Jedem Winter folgt ein Frühling, ein Sommer, dann der Herbst und wieder ein Winter. Für uns ist das ganz normal, manch einer denkt im Herbst mit Wehmut an den Frühling. Aber niemand bricht in Tränen aus, wenn der Winter kommt und die Blumen vergehen. Betrachtet man ein Menschenleben gibt es eigentlich auch diesen Lauf der Zeit - ein Baby wird geboren, wächst heran, wird erwachsen, bekommt irgendwann selber Kinder, wird alt und irgendwann geht auch dieses Leben zu Ende. Tritt man drei große Schritte zurück und betrachtet das ganze, so fügt sich der Mensch letztendlich in den "Wechsel der Jahreszeiten" ein. Wir befinden uns mitten im Leben, spüren Wehmut und Trauer über Vergangenes und Erlebtes - nur kommt für jeden einzelnen kein Frühling nach dem Winter.
An diesem Wochenende wurde ein Haus leer geräumt - ein Haus in dem Kinder groß wurden und hinaus in die Welt zogen, in dem Erwachsene älter wurden, in dem einer starb und einer nicht mehr alleine wohnen konnte - und jetzt? Zwei einhalb Jahre stand es leer und nun soll eine neues Leben mit Familie und Kindern einziehen. Für das Haus wird es einen Frühling geben. Dafür muss alles von dem vorigen Leben ausziehen. Ich bin froh, das einige Dinge aus diesem Leben in mein Leben einziehen dürfen. Immer wenn ich sie sehe oder benutze werde ich mich an die Menschen erinnern, denen sie einmal gehört haben. Natürlich habe ich auch ein paar "Schätze" für das Nähzimmer gerettet....
Auf dieser Nähmaschine (ich hoffe sie funktioniert noch!) wurden die Faschingskostüme meines Mannes genäht, sowie unzählige Vorhänge - Von denen sich einige hier in diesem Korb befinden:
Es gab noch alte Burda Schnittmuster, Burda Näh- und Stickzeitungen...
Kisten voller Zubehör, Spitze, Schrägbändern und Kordeln...
Und ein ganz besonderer Schatz ist diese Kiste von "Gütermann" mit dem Lebenszyklus der Seidenspinner Raupe! Die bekommt im Nähzimmer einen Ehrenplatz!
Manchmal habe ich lieber "alte" Dinge, Dinge mit einer Geschichte, um mich herum. Ich stelle mir dann die Menschen vor, denen sie ursprünglich einmal gehört haben und "schaue ihnen zu" wie sie diese benutzen. Vielleicht haben sie diese selbst hergestellt oder auch schon von jemanden geerbt. Ich trage das Nachthemd meiner Oma - und einen Ledermantel meiner anderen Oma - in meinem Schrank hängt auch ihr Hochzeitskleid, das auch ich schon getragen habe. So bin ich ihnen in manchen Momenten nahe. Im Schlafzimmer stehen Nachtische einer Großtante von einem Freund meiner Eltern. Wir haben sie vor Jahren im Hochsommer aus einem alten Haus im Osten der Stadt geholt. Ab und zu denke ich an diese alte Dame, obwohl ich sie nicht einmal gekannt habe. Für mich lebt sie in diesen Tischchen weiter. Hätte ich keine Kinder, die hoffentlich Stücke aus meinem Leben erhalten, so würde ich mir wünschen, das die Dinge von mir nicht einfach auf der Müllhalde landen, sondern bei jemanden einen Platz finden. So würde ich vielleicht keinen Frühling erleben, aber Dinge die zu mir gehörten.

9 Kommentare:

  1. Liebe Floh,
    was für ein wunderschöner Post, der mir Tränen in die Augen getrieben hat. Auch ich habe aus dem Haus meiner lieben alten Tante nach deren Tod als erstes die gute alte Singer mit zu mir nach Hause gerettet. Einen Nähkorrb und wunderbares Seidennähgarn habe ich auch sofort mitgenommen und jedes Mal, wenn ich diese Dinge sehe, berühre oder sie verwende, ist mir meine Tante Lotte sehr sehr nahe. Wir treten so das Erbe unserer Vorgeneration an, ich hoffe sehr, dass eines Tages mal jemand findet, der sich meiner Schätze annimmt und sie in Ehren hält. Danke für diesen schönen Post,der mich sehr berührt hat!
    GlG, Martina

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  2. Ui....das geht tief....
    Ich stimme Martina zu! Ein wunderschöner Post!
    Unsere Wegwerfgesellschaft ist schnell dabei mit neu und toll, dabei sind gerade die Geschichten doch so schön, die in jedem alten Teil innewohnen.
    Laßt uns also weiter alte Dingen den Frühling geben, Schätze finden und horten, Trödelmörkte lieben und einen Teil des Feuers weiterreichen! An wen auch immer...
    Danke für diesen Post!
    LG Bea

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  3. Liebe Floh,
    Das ist wunderschön geschrieben und sehr treffend, ich glaube, jeder hat schon mal sowas erlebt...Und die Andenken sind dann auch in den richtigen Händen gelandet, manchmal ist es ja leider nicht so.
    Liebe Grüße, freu mich schon aufs Treffen :-) Catherine

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  4. Liebe Floh,
    ich kann allen Vorrednerinnen nur recht geben, ein wunderschöner, berührender Post. Ich arbeite mich nun schon mehr als zwei Jahre durch den Nachlass meiner Mutter und bin damit noch nicht fertig und bekomme jetzt von der Mutter einer Freundin alle möglichen Schätze (diese Dame zieht ins Pensionistenheim). Ich liebe alle die Dinge die Geschichte haben und hoffe meine Tochter verflucht mich eines Tages nicht wenn sie meinen Nachlass ordnen muß.
    Liebe Grüße
    Teresa
    PS: Ich wäre liebend gerne bei Eurem Treffen dabei aber ich bin doch zu weit weg.

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  5. Da freue ich mich, dass von diesen Dingen nun auch noch ein bisschen zu mir rübergewandert ist. Ja, mir wäre es auch lieb, wenn die Menschen den Lebenskreis ein bisschen selbstverständlicher nehmen könnten. Einerseits. Andererseits bin ich natürlich auch dafür, nicht alles Vergangene gedankenlos wegzuwerfen sondern es, so gut es geht, zu ehren. Meine Nachlassauflöser werden mich bestimmt verfluchen. Wenn ich Glück habe, kann ich alles noch vorher an die richtigen Adressen verteilen.

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  6. Vielen Dank für die Kommentare von Euch allen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich so etwas persönliches ins Internet schreiben sollte.... Aber manchmal gibt es Gedanken, die ich einfach in die Welt schicken möchte.

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  7. Ich finde es hat etwas Tröstliches, wenn wenigstens die Dinge später so weitergegeben werden, an jemanden, der sie zu schätzen weiß. Hier um die Ecke gibt es einen Flohmarkt, bei dem einige Händler ihre Ware so, wie sie sie aus der Haushaltsauflösung eingesammelt haben, in einem Haufen auf den Boden schmeißen. Ich finde das herzzerreißend und kann da nicht mehr hingehen, mich deprimiert das. Man findet da ganze Fotoalben, einmal habe ich ganz viele Strumpfhosen, einzeln in ihre Packungen gefaltet gesehen, die mit kleinen Zetteln von der ehemaligen Besizerin als "noch gut" oder als "Laufmasche links" gekennzeichnet waren. In der Mißachtung der Dinge drückt sich so eine Mißachtung des Menschen aus.

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  8. @ Lucy - das sie die Nachlässe auf den Boden kippen ist für mich ganz furchtbar. Ein Glück gehe ich - noch - eher selten auf Flohmärkte, denn an den Fotoalben würde ich meine ganze Zeit verbringen. Ich weiß schon, das jeder in einem Foto oft etwas spezielles, eine besondere Situation sieht, die es oft so gar nicht gegeben hat. Ich finde Fotoalben sind wie Bilderbücher und sie erzählen ganze Geschichten und nicht nur kurze Auszüge aus Lebensabschnitten. Ich habe auch schon Ärzte kennengelernt, die alte Fotos zur Diagnosefindung mit verwenden.

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  9. Hallo Floh,
    leider habe ich diesen Bericht von dir erst heute gelesen. Ich empfinde ähnlich wie du und konnte, als der Haushalt meiner Mutter nach ihrem Tod aufgelöst wurde, auch nicht alles wegwerfen. Es sind so viele Erinnerungen.
    Liebe Grüße
    Renate

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